Beitrag von Matthias Zobrist, 9. Juni 2023
Als Hilfsmittel gelten bei der IV die unterschiedlichsten Dinge. Das kann ein Hörgerät sein, ein Rollstuhl oder eine Armprothese. Die IV bezahlt aber auch eine Perücke nach einer Chemotherapie, den Umbau zu einem rollstuhlgerechten Badezimmer oder einen speziellen Traktorsitz für den Landwirt mit einem Rückenschaden. Was sie als Hilfsmittel finanzieren kann, ist in einer Liste gesetzlich festgeschrieben. Definiert ist ebenfalls, dass ein solches Hilfsmittel mindestens einen der folgenden Faktoren verbessern muss: die Fortbewegung, die Selbstsorge, den Kontakt mit der Umwelt oder die Ausübung der beruflichen Tätigkeit. Diese sogenannte Zweckmässigkeit muss natürlich in einem direkten Zusammenhang mit einem Gesundheitsschaden stehen. So ist aus ergonomischer Sicht ein höhenverstellbarer Schreibtisch immer sinnvoll. Trotzdem haben nicht alle Personen, die in einem Büro arbeiten, Anrecht auf eine Finanzierung durch die IV.
Individuelle Beurteilung ist zentral
Neben dieser Zweckmässigkeit, müssen Hilfsmittel ebenfalls das Prinzip der Einfachheit erfüllen. Doch was bedeutet das genau: «Ich sage immer, dass ein Fiat genauso dazu dient, um von A nach B zu kommen, wie ein Ferrari. Lässt sich also eine Verbesserung auch mit einem einfacheren Mittel erreichen, sprechen wir nur dieses zu», erklärt Thomas Rütti, Bereichsleiter Sachleistungen bei der IV-Stelle Kanton Bern. Trotzdem kann es vorkommen, dass die IV im übertragenen Sinn den Ferrari bewilligt. Denn die Einschätzung, was einfach und zweckmässig ist, wird bei jedem Antrag individuell geprüft. Ein Beispiel: Einer 40-jährigen Frau muss nach einem schweren Autounfall der linke Unterschenkel amputiert werden. Damit sie weiterhin mobil sein kann, braucht sie eine entsprechende Prothese. Sie arbeitet als Bankkauffrau, weshalb eine einfache Prothese die Zweckmässigkeit erfüllt. Wäre die Frau dagegen Gärtnerin, würde ihr allenfalls eine hochmoderne Prothese zugesprochen, die auch Unebenheiten im Gelände ausgleichen kann.
«Von aussen können deshalb IV-Entscheidungen manchmal als willkürlich und unfair erscheinen», meint Thomas Rütti. Bei einer Person werde ein Antrag abgelehnt, bei einer anderen Person mit derselben Diagnose werde dagegen das beantragte Hilfsmittel bewilligt. Eine solche Betrachtungsweise blendet jedoch zwei relevante Punkte aus: Einerseits bedeutet dieselbe Diagnose nicht dieselben gesundheitlichen Einschränkungen und andererseits ist nicht bei allen dasselbe Hilfsmittel zielführend, um die Mobilität oder einer der anderen Faktoren zu verbessern.
Rasche und unkomplizierte Abwicklung
Wer eine Finanzierung von Hilfsmitteln durch die IV beantragen möchte, muss das entsprechende Anmeldeformular ausfüllen und idealerweise bereits ärztliche Unterlagen sowie ein Kostenvoranschlag des Leistungserbringers – beispielsweise des Rollstuhllieferanten – mitsenden. Die IV prüft den Antrag aufgrund des Arztberichts, ob grundsätzlich ein Anspruch besteht und wenn ja, ob die Kriterien der Zweckmässigkeit und der Einfachheit erfüllt sind. Bei der IV-Stelle Kanton Bern dauern diese Abklärungen meistens relativ kurz. Rund 80 Prozent der Anträge sind nach vier Monaten abgeschlossen – und das bei jährlich über 5000 Hilfsmittel-Bezüger/innen im Kanton. Ein Antrag für ein Hilfsmittel muss übrigens nicht im Zusammenhang mit einer IV-Anmeldung für Eingliederungsmassnahmen oder eine Rente stehen. Beispielsweise kann eine querschnittsgelähmte Informatikerin im Normalfall Vollzeit arbeiten. Die IV übernimmt aber die Finanzierung ihres Rollstuhls oder des geeigneten Schreibtisches an ihrem Arbeitsplatz.
Nicht immer kann die IV-Fachperson einen Kostenvoranschlag selbst beurteilen. Gerade bei baulichen Massnahmen arbeitet die IV-Stelle Kanton Bern deshalb oft mit der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft Hilfsmittelberatung für Behinderte und Betagte (SAHB) zusammen. Deren Mitarbeitenden nehmen wenn nötig die Gegebenheiten vor Ort in Augenschein oder können die versicherte Person bei Bedarf beraten. Die SAHB ist im Bereich der Hilfsmittel auch aus einem anderen Grund ein wichtiger Partner. Sie betreibt an unterschiedlichen Standorten in der Schweiz sogenannte IV-Depots. Dort lagert sie die unterschiedlichsten Hilfsmittel, nimmt Reparaturen vor oder baut sie auf die individuellen Bedürfnisse einer Person um. Bei den meisten Hilfsmitteln ausser zum Beispiel den Hörgeräten bleibt die IV Eigentümerin. Dafür übernimmt sie auch die Kosten notwendiger Reparaturen oder Wartungsarbeiten. Eine spezielle Sachversicherung ist in der Regel nicht notwendig. Im Falle von leihweise abgegebenen Hilfsmittel kommt die IV bei Verlust oder Beschädigung für den Ersatz auf, sofern die anspruchsberechtigte Person die Sorgfaltspflicht nicht verletzt hat.
Auch wenn man die IV in erster Linie für ihre Leistungen bei Renten und der beruflichen Eingliederung kennt, so ermöglicht sie mit der Finanzierung von Hilfsmittel vielen Betroffenen zusätzliche Selbstständigkeit in ihrem Leben, die ohne Unterstützung nicht möglich wäre. Und etwas kommt laut Thomas Rütti noch hinzu: «Wir haben in unserem Bereich relativ grossen Ermessensspielraum, den wir wenn möglich zu Gunsten der Versicherten oder des Versicherten ausnutzen.» Ganz im Sinn der Unternehmensstrategie der IV-Stelle Kanton Bern.